Coaching

Menschen in Konflikten begleiten

Kürzlich mal in einen Konflikt verwickelt gewesen? Wie hilfreich ist die Eskalationstreppe nach Friedrich Glasl? 

Die Marketingfachfrau Bettina erzählte mir kürzlich in einem Coaching, dass sie in einem Bewerbungsverfahren eine neue Mitarbeiterin gesucht hatte. Die Anforderungen: u.a. Marketingvorkenntnisse, Indesign-Kenntnisse, selbstständiges Denken und Arbeiten. Nach Abschluss des Bewerbungsprozesses wurde eine Mitarbeiterin ausgesucht – darauf hatte Bettina allerdings keinen Einfluss. Nun – drei Monate nach der Einstellung – hatte sich herausgestellt, dass die neue Mitarbeiterin vor allem schüchtern sei und sich ständig rückversichere, dass das, was sie tue, in Ordnung sei. Jedes Email müsse Bettina absegnen. Jedes Telefonat nachbesprochen werden. Die Arbeitshaltung der beiden führt seitdem zu permanenten Konflikten im Team: Eigenständigkeit versus Rücksprache.

Es vergeht selten ein Tag als Coach, an dem ich nicht mit Konflikten in Berührung komme. Ein Konflikt lässt sich als Spannungsfeld verstehen, in dem zwei widersprüchliche und gegensätzliche Perspektiven aufeinander wirken – und das erzeugt Spannung. Als Coach ist es meine Aufgabe, den Konflikt umzudeuten und „das vermeintlich Gute“ darin zu erkennen. Das versuchen wir jetzt gleich mal: Durch diese Spannungszustände werden zunächst einmal Unterschiede sichtbar (ich bin nicht wie sie – sie ist nicht wie ich) und diese Unterschiede sind mal grundsätzlich wertzuschätzen. Jede Arbeitsweise hat etwas für sich. Die Unterschiede zeigen außerdem an, dass ein Veränderungsprozess unmittelbar bevorsteht. So können die Marketingfachleute nicht weiterarbeiten. Etwas muss sich ändern.

Aber wann sind Konflikte noch zwischen den Konfliktparteien selbst lösbar, und ab wann muss eine dritte unabhängige Person ins Spiel kommen, um die Konflikte mit den Beteiligten gemeinsam zu lösen, etwa durch Coaching oder Mediation? Und gibt es Konflikte, die sich ganz einfach nicht lösen lassen?

Antworten finde ich in der Eskalationstreppe des österreichischen Konfliktforschers Friedrich Glasl. Sie beschreibt neun Eskalationsstufen:

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Stufe 1: Verhärtung. Standpunkte verhärten sich, treffen aufeinander; Die Arbeitsatmosphäre ist verkrampft, aber es gibt noch keine starren Parteien oder Lager. Simple Moderation kann helfen, den Konflikt bereits hier im Keim zu ersticken.

Stufe 2: Debatte. Streit. Die Parteien versuchen mit Argumenten, den anderen von ihrer Arbeitshaltung zu überzeugen. Schwarz-Weiß-Denken. Man redet noch miteinander. Coaching, Prozessbegleitung und Mediation sind hilfreiche Mittel zur Lösungsfindung in dieser Stufe.

Stufe 3: Taten statt Worte. Reden hilft nichts mehr. Man will sich wehren. Beschwerden an den Vorgesetzten werden formuliert. Aktennotizen angelegt. Fotos gemacht. Man redet gar nicht mehr miteinander. Coaching, Prozessbegleitung und Mediation sind noch hilfreiche Mittel zur Lösungsfindung in dieser Stufe. Therapeutische Maßnahmen können eingeleitet werden.

Stufe 4: Imagekampagne. Die Parteien suchen Verbündete und Koalitionspartner/innen. Der Konflikt bekommt eine soziale Dynamik, andere werden miteinbezogen. Jetzt geht es darum, zu gewinnen, und den anderen zu schlagen. Coaching macht hier keinen Sinn mehr. Mediation zwischen den Konfliktparteien schon.

Stufe 5: Gesichtsverlust. Die Konfliktparteien greifen einander vor anderen an, machen einander schlecht. Alle wissen Bescheid, worin die eigenen Schwächen und die des Gegners liegen. Meine und seine/ihre Fehler werden vor anderen ausgebreitet. Der Gegner soll das Gesicht verlieren. Ab hier ist eine Wiedergutmachung durch Worte (Entschuldigungen) nicht mehr möglich.

Stufe 6: Drohstrategien. Die Parteien drohen einander. „Wenn du damit nicht aufhörst, dann…“ Wenn Drohungen nicht helfen, werden Forderungen gestellt. „Ich verlange die Versetzung in eine andere Abteilung, sonst…“ Therapeutische Interventionen oder Mediation helfen ab hier nicht mehr weiter.

Stufe 7: Begrenzte Vernichtungsschläge. Der/die andere Konfliktpartner/in wird nicht mehr als Mensch wahrgenommen. Die Gegner/innen wollen einander schaden. Sie antworten einander nur noch in Vernichtungsschlägen. Ab dieser Stufe helfen nur noch gerichtliche Verfahren.

Stufe 8: Zersplitterung. Der/die Gegner/in soll zerstört werden. Hier muss von außen in den Konflikt eingegriffen werden.

Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund. Man vernichtet den/die Gegner/in, auch wenn man selbst dabei vernichtet wird. Hier muss von außen in den Konflikt eingegriffen werden.

Ich finde die Eskalationstreppe wahnsinnig hilfreich, um Konflikte im Coaching einzuordnen. Konflikte können durchaus einen Grad erreichen, der nicht mehr zu lösen ist (ab Stufe 7). Im Unternehmenskontext bin ich meistens mit Konflikten auf Stufe 1, 2 oder 3 konfrontiert, aber mir sind auch schon Fälle von Mobbing untergekommen, die bereits auf Stufe 5 eskaliert waren. Wenn ich den Konflikt unserer Marketingfachfrau Bettina nochmal betrachte, dann würde ich sagen: Das ist ein Stufe-2-Konflikt. Es geht nicht darum, wer die richtige Arbeitshaltung hat, sondern miteinander eine neue gemeinsame Arbeitsweise zu definieren.

Daher meine abschließende Frage:

Would you rather be right or happy? (Marshall B. Rosenberg)